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Über Christian Spucks "Anna Karenina" und das Bayerische Staatsballett in Ludwigshafen

Über Christian Spucks „Anna Karenina“ und das Bayerische Staatsballett in Ludwigshafen

14. Juni 2019
Author: Alexandra Karabelas
Category: Journalistische Beiträge, über tanz denken, Veranstaltungen
Tags: Alexandra Karabelas, Anna Karenina, Bayerisches Staatsballett, Christian Spuck

Als „bedeutendsten Gesellschaftsroman der Weltliteratur“ bezeichnete Thomas Mann einst Lew Tolstois Monumentalwerk „Anna Karenina“ aus dem Jahr 1878. Ob man Ähnliches über Christian Spucks Ballett „Anna Karenina“ aus dem Jahr 2014 und seine für uns Zeitgenossen geschaffene Kunst des Handlungsballetts sagen können wird, bleibt, mit Skepsis, abzuwarten.

Gelegenheit darüber nachzusinnen gab das gelungene Gastspiel des Bayerischen Staatsballetts im Pfalzbau. Ihm hatte der Zürcher Ballettdirektor drei Jahre nach der Schweizer Uraufführung seiner „Anna Karenina“ im Jahr 2014 das Recht übertragen, die deutsche Erstaufführung seines insgesamt dreizehnten Abendfüllers zu stemmen. Weshalb, das konnte man sich, während getanzt wurde, zusammenreimen. So verfügt das Bayerische Staatsballett nicht nur über das nötige Kleingeld, um ein von Emma Ryott, Jörg Zielinski und Spuck selbst so herrlich-aufwendig ausgestattetes Ballett wie „Anna Karenina“ zu finanzieren; es steht zudem seit 2016 unter der Leitung des ehemaligen russischen Starsolisten Igor Zelenksy und hat mit ihm seine Ausrichtung an der Klassik wieder verstärkt. Allein die Literatur aus der eigenen kulturellen Heimat, aber auch Spucks an der Neoklassik orientiertes Bewegungsvokabular, das er auch in „Anna Karenina“ mit seiner ihm eigenen zeitgenössischen Bewegungssprache aus luftig geklappten Unterarmen, wedelnden Händen, tiefen, zur Seite geneigten zweiten Positionen  und dynamischen Drehungen über den Boden mischt, passten da vorzüglich.

Hinzu kommt der zurückhaltende Umgang des ehemaligen Stuttgarter Hauschoreografen mit den Themen seiner Ballette. Spuck überrascht sein Publikum nicht so oft mit Szenen, Emotionen, Choreografien oder gar einer gesellschaftspolitischen Haltung, die in irgendeiner Weise bisherige Seh- und Denkgewohnheiten waghalsig aufbrechen oder eine Grenze schmerzhaft ausloten. Im Gegenteil. Auch bei seiner „Anna Karenina“ bleibt der gebürtige Marburger ein ruhiger Beobachter und Regisseur des Außen- und Innenlebens seiner der Literatur entstiegenen Protagonisten, ohne sich sehr weit aus dem Fenster zu lehnen. Entsprechend lehnt man sich zurück.

Man genießt das Werk wie einen „Tatort“ im Fernsehen – aufregend, aber so dass man schlafen kann, nachdem man der großartigen Wandlungs- und Ausdrucksfähigkeit von Ksenia Rhyzhkova als Anna, der feinen Darstellung von  Jonhao Zhang als Lewin oder der auch dem dezent tragisch-komischen Spiel von Elvina Ibraimova als dauerbetrogene Dolly noch etwas nachgesonnen hat.

Diese Erfahrung spült einen wichtigen Aspekt in Spucks Kunst an die Oberfläche: Der Künstler benutzt weniger den Tanz, um das fiktive Schicksal Anna Kareninas zu erzählen, sondern vielmehr das schauspielerische Talent  der Tänzerinnen und Tänzer; im Vergleich zu den derzeit beispielsweise in Stuttgart erlebbaren, auch Werte überschreitenden Pas de deux in MacMillans „Mayerling“ wirken seine Duette insbesondere zwischen der Ehe brechenden und alsbald von der Gesellschaft geächteten Anna, ihrem allein in die Gesellschaft zurückfindenden Liebhaber Wronski und ihrem zunächst konsternierten, sich dann aber abwendenden Gatten Alexej Karenin so nahezu brav – mit dem Effekt, dass sich der Blick für die ganze Inszenierung öffnet. Und hier genießt der Zuschauer ein  streng reduziertes, hyperstilisiertes Gesamtkunstwerk aus Raum, Stoff, Licht, Film, Projektionen und vor allem Musik, hier unter anderem von Sergej Rachmaninov; eine Schöpfung edelster Art, in der die Kunst sich selbst genügt anstatt mit der Wirklichkeit zu kommunizieren. Fast frierend machen die Bilder jener Momente, in denen Anna Karenina ihren Sohn im Matrosenanzug mit der Eisenbahn spielend wieder sehen möchte und ihn an eine Vertraute ihres Gatten verliert; oder die zahlreichen Projektionen von einem Pferderennen, Landschaften oder ratternder Dampfloks auf weißes Vorhangtuch, mit denen Anna zwischen den Welten hin- und herreiste. Wirft man einen Blick auf das Handlungsballett im 20. Jahrhundert, mag dieser Weg fast rückschrittlich wirken. Als kammerspielartige Erzählweise von Literatur im Tanz auf großer Bühne, in der sich ganze, auch vergangene Gesellschaften zeigen dürfen, besteht der Ansatz aber. Christian Spuck erhielt hierfür vor wenigen Tagen den begehrten Prix de Benois, einen der renommiertesten Ballettpreise weltweit.

Text: Alexandra Karabelas, erschienen in der Rheinpfalzam 28. Mai 2019.

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Ich danke von ganzem Herzen den Tänzern Kilta Rainprechter, Kerstin Portscher, Sara Leimguber, Nylea Mata Castilla, Tina Essl, Chia-Yin Ling, Julia Leidhold, Lea Geerkens, Wolfgang Maas, Olaf Schmidt, Adrian Navarro, Andrew Hill, Sebastian Eilers, Martin Wax, Stephan Herwig, Winfried Scholten, Philipp Meyer und Stefan Dreher, der Kostümbildnerin Bianca Hedwig-Schmid, dem Lichtdesigner Erhard Bablok, den Musikern Reinhold Bauer, Anka Draugelates und Frank Wendeberg, der Maskenbildnerin Katharina und dem Videofilmer Clemens Rudolph, dass ich mit Ihnen arbeiten durfte und darf.

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