Sebastian Abarbanell über seine Arbeit beim Ballett Theater Pforzheim

Es ist leise im Ballettsaal im Schmuckmuseum. Wo sonst viel Bewegung herrscht, ist nun Platz für Stille. Mit geschlossenen Augen stehen Mei Chen, Stella Covi, Fabienne Deesker, Dario Wilmington, Yannis Brissot und Hyeon-Bae Woo weit voneinander entfernt regungslos im Raum. Sphärischer Sound umhüllt sie. Ebenso die Worte von Sebastian Abarbanell, der sie mit auf die Reise nimmt zu ihrem inneren Körper unter der Grenze der Haut. Abarbanells Aufforderung zum Tanz gleicht einer Expedition in andere Welten. Schaut man zu, schließt man unwillkürlich selbst die Augen. Tanz kann auch von innen gesehen werden. 

Man beginnt gemeinsam mit den Tänzer*innen zu atmen. Und ist überrascht: Nach einer Stunde, die wie im Flug vergangen scheint, haben die Tänzer*innen zu raumgreifenden fließenden Bewegungen gefunden. Wie ein Schwarm Vögel, die trotz Abstand zueinander ohne Worte miteinander kommunizieren. „Fühlt die anderen im Raum. Wartet nicht aufeinander, aber bewegt euch gemeinsam vorwärts“, hört man Abarbanells Stimme. Tanz hat viele Ausdrucksweisen. Ihnen Platz zu geben am Theater Pforzheim und das Publikum mit der Vielfalt des Tanzes vertraut zu machen, ist das Ziel des Abends „Tanz Pur“. Ballettdirektor Guido Markowitz hat das Format vor sechs Jahren ins Leben gerufen.

Sebastian Abarbanell war ihm als möglicher neuer Gastchoreograf für seine Compagnie gleich aufgefallen. Ebenso seinem Stellvertreter Damian Gmür. Markowitz saß in der Jury beim Solo-Tanz-Theater-Festival in Stuttgart, wo er im vergangenen Jahr in engem Austausch mit Gmür den Residenz-Preis des Theater Pforzheim vergab. Abarbanell hatte mit seinem Solo „Home (what we lost)“ das Finale erreicht. Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper als Zuhause und äußeren Heimatwelten, die verlassen werden oder verloren gehen können, stand im Zentrum seiner Choreografie, die der groß gewachsene Künstler auch selbst getanzt hatte.

Fragt man ihn nach dem Wichtigsten, was er mit seiner Kunst ausdrücken möchte, fällt das Wort „queer“. „Ich verstehe mich als queer artist, der auf der Suche ist“, erzählt Abarbanell, der in Frankfurt geboren und in Berlin aufgewachsen ist. Dort begann er auch mit elf Jahren zu tanzen. „Wer bin ich, wenn ich gängige Definitionen von mir in Bezug auf Geschlecht, Sexualität, Emotionen und Rollenerwartungen aus dem Außen nicht  annehme, sondern für mich in Auseinandersetzung mit dem Außen eine Eigenständigkeit aufbaue? Diese Suche geschieht über meinen Körper und ich drücke sie in Tanz und Choreografie aus.“

Für Markowitz und Gmür ist dieser Ansatz aktuell: „Diversität ist bei uns immer ein wichtiges Thema, das wir leben. Wir sind von daher sehr an Sebastians choreografischem Ansatz und seiner Handschrift interessiert,“ so Guido Markowitz.

Das Bekenntnis, seinen individuellen Weg zu entwickeln, sei das Stärkste, was er während seiner Tanzausbildung am berühmten Trinity Laban Konservatorium für Musik und Tanz in London gelernt habe. „Nie hatte ich dort das Gefühl, dass ich in eine bestimmte Richtung gezogen werde.“ Danach zog es ihn für drei Jahre nach New York. Dort tanzte er in Andrea Millers Gallim Dance und Sidra Bell Dance New York und kreierte eigene Soloprojekte. 2018 gewann er den ersten Preis und den Publikumspreis des contact.energy Tanztheater Festival Erfurt. Für eine Stadttheater-Compagnie arbeitet der heute 26-Jährige das erste Mal. „Es ist sehr aufregend für mich. Die Tänzer*innen haben mich sofort aufgenommen und geben tolles Feedback.“ 

Erschienen in der Pforzheimer Zeitung am 18.3.2021. Foto von Umi Akyoshi.