Nackt sein und tanzen

Eine Betrachtung der ersten Tage bei DANCE. Von Alexandra Karabelas

Zwei Mal war diese Pose in den vergangenen Tagen bei DANCE sichtbar: Ein Nackter auf dem Arm eines anderen. Der Unterschied: Im einen Stück war ein Mensch zu erleben der riskierte seine Sehnsucht und sein Bedürfnis nach Gemeinsamkeit offen zu zeigen. Im anderen Stück blieb der Mensch Pose. Darstellung. Ein, zwei seelenlose Körper, und das, obwohl hier beide nackt waren. Die Chance auf eine Erfahrung war ungenutzt verstrichen worden. Anders gesagt: Was blieb war die Erfahrung der Entfremdung vom Stück. Und die wog schwer, weil das ganze Stück zum Schluss auf diese eine Pose zusammengeschnurrt war, nach einem zielgerichteten Vorlauf direkt hin zum Thema der Lust und der Sexualität. Wenn aber Nacktheit im Kontext von Sexualität ohne emotionale Grundlage auf der Tanzbühne Einzug hält, hört der Tanz auf. Das Gegenteil bewiesen zwei andere Stücke: Wo die Nacktheit des Körpers verbunden mit dem Kosmos ehrlicher menschlicher Gefühle verbunden wird oder gar ganz ausgeschlossen wird, kann der Tanz Einzug halten.

Von was ist die Rede? Zunächst von Kaori Itos „Asobi. Adult Game“, das die japanische Tänzerin und Choreografin  in Zusammenarbeit mit „Les Ballets C de la B“ und dem Muziekcentrum De Bijloke“ im Jahr 2013 erarbeitet hat, sowie von der Neu-Adaption des Duetts „Two Room Apartment“ durch das israelische Künstler- und Lebenspaar Niv Sheinfeld und Oren Laor; schließlich von Saburo Teshigawaras und Rihoko Satos Solotanzabend “Karas”. Das erste platzierten die DANCE-Macher in der Muffathalle; das andere nah am Zuschauer im theater schwere reiter. Teshigawara und Rihoko schließlich im Gasteig. Alle drei  Stücke sind exzellente Exportartikel aus ihren jeweiligen Herkunftsländern; eingängige Festival-Juwelen. Zu den absolut besten Stücken gehören – bis auf “Karas” – die ersten beiden aber aus der Sicht mitteleuropäischer Berachtung nicht, auch wenn “Two Room Apartment” sehr nachwirkt. Dieses Stück überzeugt als eine schlicht auf zwei großen, abgeklebten Feldern erzählte Geschichte zweier Männer in Israel, die, geprägt von dem gewaltvollen Umfeld und der Militarisierung des eigenen Landes, ganz diskret zum Paar zusammenfinden. Auch wenn das Stück nicht immer zu einem körperlich-tänzerisch aussagekräftigen Bewegungsfluss findet und stattdessen von groben, auch redundanten Bewegungsmustern dominiert wird, ist der Tanz als das “unsichtbare Wesen”, wie es Forsythe einmal beschrieben hat, präsent.

Kaori Ito wählte ein glamouröseres Bühnenbild: einen riesigen, zuweilen wie von Atem angehauchten Spiegel, der sowohl für die Tänzer als auch für die in ihn hineinblickenden Zuschauer zum Ort der Selbstbespiegelung und Selbstentblössung wird. Als Thema hatte sie die “Asobi”-Tradition in Japan gewählt, Erwachsenen-Spiele, womit auch, aber nicht nur, wie es im Programmheft heisst, erotische Spiele gemeint seien. Spannend ist vor allem der erste Teil ihres Werks: Eine Tänzerin geht langsam und unter dem Blick eines anderen immer wieder die Spiegelwand entlang, zuerst in Pumps, dann entledigt sie eine Körperhälfte der Kleidung. Der Fuß en pointe taucht auf, während der andere im Pump steckt; am Ende das Trikot, das das lange Bein entblösst. Zum Schluss der halbe Körper nackt – insgesamt eine wundervoll würdige, körperliche Reise durch verschiedene Tanzkulturen, die sich später wiederholen wird, etwa wenn alle vier mit nur minimalistischen Bewegungen im Gleichschritt zeigen, wie sich der Tanz durch den Pop sexualisiert hat oder aber als Bild starker gesellschaftlicher Reglementierung genutzt wird. Schade dass danach der Tanz durch das immer eindeutiger werdende tänzerische Darstellen von auch noch politisch korrekten Paarungen, zuerst nämlich den gleichgeschlechtlichen und danach erst jene von Mann und Frau, verabschiedet und stattdessen zum Sinnbild eines Lebensstils wurde, der, ein Blick auf youtube.de genügt, die Globetrotter von heute kennzeichnet. Die angekündigte Grenzüberschreitung fand zumindest so nicht statt und wurde, wenn man so will, ungewollt durch “Karas” geleistet: Dort tanzen ganz altertümlich fast schlicht eine Tänzerin und ein Tänzer auf Musik von Bach und Cage fußschnell ein fließendes Ornament nach dem anderen. Wo gibt es das denn noch? Schön, wie DANCE hier die Tradition des Solotanzes in der Geschichte des Zeitgenössischen Tanzes reflektiert. Ein Genuss.

Tanztheater Made in Bangladesh

Ähnliche Schwierigkeiten wie Ito im dramaturgischen Untergrund wies schließlich auch Helena Waldmanns “Made in Bangladesh” auf.  Dieses Stück soll ein Aufschrei sein, ein Statement, und funktioniert auch da, wo es um die Kritik an vor allem Frauen ausbeuterischen globalen Arbeitsverhältnissen geht. Als Bezugspunkt wählte die Künstlerin das traurige Ereignis des Einsturzes einer Textilfabrik in Bangladesh im Jahr 2013. Mit den Mitteln des Dokumentartheaters präsentiert Waldmann an der Wand Projektion harte Fakten: den Lohn in Cent, der während der Dauer der Aufführung von Näherinnen verdient wird; die in Sekunden sich anhäufende Wertschöpfung der Reichen; kaum erreichbare Sollzahlen beim Abnähen der Textilien;  die psychische, mentale und körperliche Erschöpfung der Arbeiterinnen, die dennoch sagen “I am happy” weil sie die Wahl nicht kennen ausser draufzugehen. Als tänzerisches Mittel wählte Waldmann den traditionsreichen Kathak-Tanz, den zwölf Tänzer_innen aus Bangladesh atemberaubend exerzieren und das Münchner Festival DANCE an diesem Punkt hier leuchten lassen. Wie ein unsichtbares Stück Stoff, das ganz symetrisch rechts und von links vernäht wird, breitet sich die Choreografie vor den Augen des Betrachters aus. Dann aber den Überlebenskampf der Arbeiterinnen und die prekären Lebensverhältnissen von Tänzern in Deutschland kurzzuschließen, wirkt, auch wenn es aus Sicht der Verfasserin en Detail lebensweltlich nachvollziehbar ist, leider konstruiert, zumal Waldmann sich nicht traut in ihrem eigenen Stück die Konsequenzen zu ziehen. Denn auch wenn der Tatbestand stimmt, dass die meisten frei schaffenden Choreografen unter den sogenannten Top Twenty oder Top Fifty kaum angemessene Tänzerhonorare oder Produktionskosten begleichen können, warum legt sie dann nicht in der Aufführung offen, wie sich ihr eigenes Budget für ihr “Made in Bangladesh” zusammensetzt und warum es überhaupt zur Aufführung bei DANCE kam? Und warum zeigt sie innerhalb ihres Stückes mit künstlerischen Mitteln keinen Lösungsansatz auf, eine Vision, eine Utopie, etwas, was über das jammervolle Beklagen des Ist-Zustands hinausgeht? Warum wird nicht anschließend ihr Thema im Rahmen eines Publikumsgespräch diskutiert? Und auf wen bezieht sich Waldmann eigentlich? Auf die Szene des Balletts? Auf den freien zeitgenössischen Tanz? Dass gerade eine Ballettänzerin im weißen Tütü eingeblendet wird und nicht ein frei schaffender Tänzer in Jogginghose, kann aus Sicht einer frei schaffenden Künstlerin nicht ernsthaft Sinnbild eines Tanzproletariats sein, gehören doch klassische Tänzer noch am ehesten jener Spezies unter den Tänzern an, die an Häusern fest unter Vertrag sind, im Gegensatz zum Heer der freien Tänzer.

Micha Purucker, einer der Köpfe der Tanztendenz brachte es in der “art lodge munich 2015”, dem DANCE-Beitrag der Tanztendenz, auf den Punkt: “Wir leben von der Substanz”, um sogleich dem Künstler Jan Ritsema des Performing Arts Forums sowie Laurent Van Kote, internationaler Berater für Darstellende Künste im Französischen Ministerium für Kultur und Kommunikation, Räume zu geben, diskutierbare Realitäten und Visionen eines Künstlerlebens auszubreiten. Schade, dass dort so wenig Leute waren. Zwischenstand bei DANCE: Man kann noch weiter gehen. Internationalität, Qualität und Erscheinungsformen von Tanz sind wichtige Auswahlkriterien für ein Festivalprogramm. Eine stärkere Themensetzung innerhalb dieser Kriterien, eine Zuspitzung wie beim letzten Mal wäre aber ganz schön gewesen. Schauen wir mal wie es weiter geht.

siehe auch www.tanznetz.de