Wie tanzt man bitte die „9. Symphonie“ von Beethoven?!

Zum choreographischen Konzept des PUPILS DANCE PROJECT am 5. und 6. April 2017 im VELODROM, Regensburg 

Pupils-Dance-Project-2017

Sonnen, überall Sonnen.

Ich kann fliegen, wenn ich will.

Ich breite die Arme aus und fliege.

Höher. Und Höher.

Freude treibt die Räder in der großen Weltenuhr. 

Freude heißt die starke Feder in der ewigen Natur.

 

WER HAT ANGST VOR BEETHOVENS 9. SYMPHONIE?

Nein. Untanzbar für Schülerinnen und Schüler. Beethoven schrieb seine „9. Symphonie“ nicht im Gedanken daran, dass sie vertanzt werden sollte, und wenn dann schafft das vielleicht ein ballettöser Superstar vom berühmten Bolschoi-Ballett in Russland. Denn: Die viersätzige Komposition ist ein gewaltiges Werk: eine kraftvolle, kaum überschaubare musikalische Landschaft voller Spannungen, Gegensätze, Enthusiasmen und zerklüfteten Klangflächen, die beim Hören den Atem raubt. Wie sollen sich bitteschön jugendliche Körper, die sich vereinzelt oder noch nie der Formung durch ein klassisches oder zeitgenössisches Tanztraining ausgesetzt haben, in dieser Musik und ihr  gegenüber behaupten? Gar die Tausenden von einzelnen Momenten, die die Musik durch ihr Klangbett zurücklegt, passend genau mit schönen, raumfüllenden, beredten Bewegungen wiedergeben? Nur ein Choreograph, der weltberühmte Béjart, war bislang wirklich im 20. Jahrhundert in der Lage, 1964 mit seinem „Ballett des 20. Jahrhunderts“ Beethovens „9. Symphonie“ ironisch zu begegnen.

DIE GESCHICHTE DER 9. SYMPHONIE

Zu den anfänglichen, sorgenvollen Gedanken gehörten zudem der historisch-politische Hintergrund der „9. Symphonie“. Begeistert von Friedrich Schillers 1785 verfasster „Ode an die Freude“ sollte deren Vertonung durch Beethoven als Werk der Musik nicht nur dieselbe Radikalität und Entschlossenheit in Inhalt und Form aufweisen. Darüberhinaus wollte Beethoven mit seiner Musik ebenso konsequent für ein freies, sicheres Leben des Einzelnen außerhalb obrigkeitstaatlicher Zugriffe und Einschränkungen eintreten.  Faktisch dauerte es jedoch Jahre, bis der bald taube Künstler die „9. Symphonie“vollenden konnte. Die ersten Skizzen entstanden 1815 – just in dem Jahr, in dem die alten Herrscher Europas auf dem Wiener Kongress eine Neuordnung der Länder unseres Kontinents durchsetzten – eine Neuordnung, die vor allem das Gleichgewicht der Mächte und die Interessen der Herscher berücksichtigte. Die Uraufführung des Werkes fand schließlich zu einem Zeitpunkt statt, als die Karlsbader Beschlüsse von 1819 längst die Bekämpfung liberaler, demokratischer Ideen vor allem in Deutschland in die Tat umgesetzt hatte. Die Führungseliten Europas waren wieder taub geworden gegenüber den Impulsen des Volkes.

WAS ZEIGEN UNSERE TANZBILDER UND WIE HABEN WIR SIE GEFUNDEN?

Die Spannungen im damaligen Europa müssen für den einzelnen Menschen zum Teil unerträglich gewesen sein.  Die Idee des freien Menschen hatte sich konkret ins kollektive Gedächtnis eingeschrieben. Der Kampf der Herrscher, diese mächtige Idee zurückzudrängen, war ebenso groß.  Sollte man mit dem Tanz der Schülerinnen und Schüler die Geschichte der Eroberung von Freiheit und ihres Verlustes erzählen? – Man darf sie zumindest nicht außer Acht lassen.  Ein historisches Tanzwerk sollte jedoch nicht entstehen und war auch nicht zu leisten.  Andererseits galt es, jenes, was auch aktuell unsere Gegenwart bestimmt, den Clash of Cultures, wie ihn Samuel Huntington vor über zwanzig Jahren vorausgesagt hatte, die politischen Radikalisierungen in Europa, die neue Besinnung auf Nationales, bei der Entwicklung eines choreographischen Konzeptes zu berücksichtigen.  Sonst wäre der Umgang mit Beethovens „9. Symphonie“ schlicht naiv.

In dieser Art  Beethovens Werk ausgesetzt, reifte der Gedanke, zu jenen zu gehen, die tanzen. Wer sind unsere Kinder und Jugendlichen in Regensburg, die sich hier Beethovens „9. Symphonie“ einverleiben? Was fühlen sie beim Hören der Musik? Welche Kräfte nehmen sie in der Musik wahr? Welche Bilder steiugen auf? Was erzählen sie sich gegenseitig von der Musik? Welche Vorschläge haben sie für einen Tanz? Wie gehen sie schließlich mit etwas auf die Bühne von dem sie sagen, das haben wir zusammen kreiert? Wo bilden wir eine Gemeinschaft in Freiheit, in Kreativität, und wo können sagen „Das habe ich und das haben wir geschafft“?

So bunt, unterschiedlich und vielfältig die Gesellschaft heute ist, so differenziert sollte daher die choreographische Erarbeitung erfolgen. Nicht ein Choreograph, sondern 15 Choreographinnen sollten mit ihren Schülern die „9. Symphonie“ minutenweise erobern. Jede Choreographin oder jedes Team an Choreographinnen sollte mit ihren und seinen Schülerinnen und Schülern selbstbewusst und selbstverantwortlich, aufbauend auf einem kontinuierlichen Gespräch im Team, das in Tanz umsetzen, was zu hören und mit dem Körper zu sagen ist.

Neben der Frage nach dem politischen Hintergrund bildete die Synästhetik der „9. Symphonie“ den zweiten roten Faden bei der choreographischen Erarbeitung des Werkes: Wer die Augen schließt, kann erleben, wie schnell  beim Hören der beiden ersten Sätze vor dem inneren Auge intensive Bilder weiter Natur erscheinen: die Größe des Himmels wird ebenso zum Erlebnis wie das Rauschen des Blätterwaldes im Herbst, das Wasser der Ozeane oder gar Explosionen im All.

Herausgekommen ist eine ungeheure Vielfalt an Bildern, die am Ende einfach so wirklich zueinander passen. Sowohl der Kampf um die Freiheit, als auch die Kämpfe mit- und gegeneinander wurden von den Schülerinnen und Schüler ebenso entdeckt wie sie Goethes Natur- und Jahreszeiten-Bilder auf die Spur gekommen sind. Genau dafür ist der Zeitgenössische Tanz auch da. Das zu erden und zu sagen, was der einzelne vermag. Auch das klassische Ballett erhält so, wie auch zu sehen sein wird, einen anderen Boden.

 

UNSER TIPP ZUM GENIESSEN VON TANZ UND MUSIK!

Die Kräfte der Welt dienten Beethoven als Metapher für die Kräfte, denen der Mensch ausgesetzt ist.  Wer will, vermag das in unserer großen Gemeinschaftsarbeit zu sehen.