Am 30. April 2009 wurde der Student Tennessee Eisenberg bei einem Polizeieinsatz erschossen. In der Sigismundkapelle in Regensburg wurde sein Tod tänzerisch umgesetzt: in Form eines langen Solos für den herausragenden Münchner Tänzers Stephan Herwig.
VON ORTEN SO BLENDEND WEISS.
Logbuch von Alexandra Karabelas über ZOES BIOS BOX:
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KUNST, DIE BERÜHRT, WEIL SIE VERANTWORTUNG ÜBERNIMMT
Von Birke Stahl
In einem außergewöhnlichen Feldversuch testet die Regensburger Choreographin und Dramaturgin Alexandra Karabelas, was passiert, wenn der Tänzer Grenzen des Abstandes überschreitet. Mit der Tanzperformance „Zoes Bios Box“ bezieht die Künstlerin als Erste Position zu den unaufgearbeiteten Todesschüssen von Polizeibeamten auf den Regensburger Studenten Tennessee Eisenberg im Jahr 2009.
Der Raum ist spärlich eingerichtet: Kaltes Licht dringt aus einem offen stehenden Kühlschrank. Ein Schwarm schwarzer Schmetterlinge klebt an der Decke der Kapelle, auf der weißen Wand ist die Silhouette eines Berges zu erkennen. Die Rauminstallation der Bildhauerin und Objektkünstlerin Susanne Gatzka ist Bestandteil der Performance. Im Raum verteilt stehen zwölf Stühle für die Zuschauer. Ein junger Mann sitzt rauchend auf einem Stuhl, plötzlich erhebt er sich, läuft sichtlich erregt im Raum umher und sucht den Kontakt zum Publikum. Dabei schaut er den Zuschauern direkt in die Augen. Als ob das nicht schon genug wäre, geht er auf sie zu und berührt sie, indem er ihre Hände nimmt und sich auf die Brust legt. Sie können seinen Puls, seinen Herzschlag, seine Aufregung spüren. So viel Nähe ist der Zuschauer von einem Fremden nicht gewöhnt. Es macht Angst so viel Nähe zu ertragen, die pulsierende Hand, das klopfende Herz. Dem renommierten Münchner Tänzer Stephan Herwig gelingt es auf einzigartige Weise Emotionen mit eindringlichen Bewegungen tänzerisch zu verarbeiten. Dabei stellt er mit seinem Körper vielfältige Beziehungen zum Raum und zum Publikum her. Sein Körper sendet Signale, die Auskunft über seine momentane Befindlichkeit geben, seine Bewegungen nehmen den Zuschauer gefangen, ziehen ihn in seinen Bann. Der Zuschauer bekommt flashartig Eindrücke seines inneren Zustands, der bedrückend, zuweilen aber auch fröhlich und ausgelassen ist. Karabelas erzählt keine Geschichte, vielmehr ordnet sie Fragmente von Gefühlszuständen mosaikartig aneinander. Der Klangteppich aus Geräuschen, Gesprächsfetzen sowie Musik ergänzt die Choreographie, gibt ihr neue Impulse und verstärkt sie. Textpassagen aus Christoph Ransmayrs Verse-Epos „Der fliegende Berg“ verdichten das Geschehen und die Installation im Raum: „Immer ist noch jemand da, der von uns weiß, der uns nicht loslässt oder von dem wir nicht lassen können, jemand der durch unsere Erinnerungen, Ängste und Hoffnungen geht …“ Ein gelungener Schachzug der Choreographin ist der Perspektivwechsel, das Publikum ändert während der Performance mehrmals die Sitzordnung. Man sitzt sich gegenüber, mustert die anderen Zuschauer und stellt sich die Frage: Wer ist Darsteller, wer ist Zuschauer? Werden sie, was sie sind, weil sie sich begegnen? Einmal noch erwacht der Tänzer aus der Starre, in die er nach jeder Sequenz verfällt. Seine Bewegungen werden mittels Lichtquelle gedoppelt, auf der Wand erscheint überdimensional sein Schattenbild, das zum Ende hin immer kleiner wird, bis er schließlich den Raum verlässt. Am Ende werden die Spuren schnell weggewischt und alles ist, wie es war. Nur die Stühle stehen anders. Einer fehlt und der Zuschauer fühlt sich seltsam berührt.
Erschienen auf www.accesstodance.de am 16.03.2012
12 Kugeln, 12 Zuschauer
Ein Eindruck von „Zoes Bios Box“ von Magda Auberger
Die Sigismundkapelle im Thon-Dittmer-Palais ist nicht sehr groß. Dass sich nur ein Dutzend Leute zur Uraufführung von „Zoes Bios Box“ zusammengefunden haben, überrascht dennoch. Allerdings ist die Veranstaltung ausverkauft – nur zwölf Menschen sind als Publikum der Choreographie von Alexandra Karabelas vorgesehen. Weiße Stühle stehen chaotisch im Raum herum, den Susanne Gatzka als Ausstellungsraum konzipiert hat und der nach der Performance als eigenständige Ausstellung weiterbestehen wird. Uns Zuschauern werden Plastiküberzieher oder Schlappen gereicht, bevor wir weitere Sitzgelegenheiten in die Hand gedrückt bekommen und uns selbst platzieren.
Keine bequeme Zuschauerrolle
Wir sehen uns an, wir fühlen uns ein bisschen wie Verschwörer. Durch die Platzierung der Stühle gibt es keine allgemeine Blickrichtung, unsere Blicke sind also nicht parallel, sondern kreuzen sich immer wieder. Die übliche Rezeptionshaltung, die sonst so bequeme Teilung in Performer und Zuschauer, hat Karabelas mit diesem Arrangement gebrochen. Wir Zuschauer lächeln uns nervös zu. In der Ecke sitzt der Tänzer Stephan Herwig. Wir fühlen uns von ihm genauso beobachtet, wie er sich fühlen muss. Stumm sehen wir uns gegenseitig an, nehmen Maß. Außer dem wiederkehrenden Soundtrack des heulenden Windes ist es still. Der weiße Raum wirkt auf uns ein. An den Wänden Zitate, auf dem grauen Boden Jahreszahlen, Uhrzeiten. Eine Säule zieren Schmetterlinge, ansonsten wirkt der Raum karg. In diesen ersten Minuten, die wir schweigend in unserer Gegenwart verbringen, tanzt Herwig nicht. Er schreitet den Raum ab, er scheint uns abzuschätzen, er blickt jedem von uns ins Gesicht. Dann berührt er uns, einen nach dem anderen. Fasst unsere Schultern an, unsere Gesichter, lässt uns aufstehen und wieder hinsetzen. Durch die Berührung im Wortsinne schafft er eine Bindung, die sehr intim ist und uns den Abend über trägt.
…wie Mitwisser an seinen Wunden
Als Herwig zusammenbricht, stehen wir grade alle vor unseren Stühlen. Da ist er, der im Programm angekündigte Bezug zu Tennessee Eisenberg und seinem Tod: die Realisierung dessen, was wir da grade künstlerisch abstrahiert sehen, schockiert. Wir stehen da wie Mitwisser an seinen Wunden – untätig und still, wie Ankläger und Zeugen. Es ist ein sehr intensiver Moment, der in einen gnädigen Black fadet, bevor die Reflektion über das, was wir in dieser Performance repräsentieren sollen, unerträglich wird. Herwigs Verletzlichkeit, die er in seine Figuren legt, ist überragend. Zwischendurch ist man versucht, den auf dem Boden zusammengekauerten Menschen aufzuheben, davonzutragen und zu trösten. Die Spannung zu den tänzerischen Figuren wird immer wieder unterbrochen, weil wir gebeten werden, unsere Stühle umzuarrangieren. Es stellt sich heraus, dass unsere Performance deutlich ausbaufähig ist – die Stühle klappern über den Tanzboden, nervöses Gekicher macht sich breit. Auch die letzten, sehr energiegeladenen Momente des Abends brechen seltsamerweise mit der eingangs aufgebauten Spannung und sorgen für eine gewisse Entfremdung. Es ist ein sehr kleiner Abend, der auf eigenwillige Weise berührt und bewegt. Wie als Nachgedanke und Kommentar des Abends spielt nach der Performance noch der Cellist Hugues Vincent drei Stücke, die sehr begeistern. Wer sein Cello als Gitarre spielt, braucht sein eigenes Konzert. Bitte gebt dem Mann Geld und einen eigenen Abend.
Von Magda Auberger. Erschienen auf www.regensburg-digital.de, 12. März 2012
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