FRAUEN IM TANZ – ein Thema, das mich, Alexandra Karabelas, seit Jahren viel beschäftigt. Wer macht unter welchen Rahmenbedingungen als Frau im Tanz Karriere? Warum lässt sich in der Choreographie ähnliches beobachten wie in der Wirtschaft: die gläserne Decke. Viele Frauen sind hervorragende, tief empfindende Künstlerinnen und dennoch bleibt ihr Einfluss auf die Ästhetik des Tanzes in der Gegenwart begrenzt. Einerseits. Andererseits bringen sie, vor allem dann wenn sie institutionalisierte Förderungen erreicht haben, in der freien Szene massiv ihre Fragestellungen, ihre Ästhetik und ihre Bewegungs- und Inszenierungsstile ein und beeinflussen so den jeweils aktuellen „State of the Art“.
Als vor einigen Monaten die Gender-Debatte auch in der Theaterwelt angekommen war, entwickelten DIE DEUTSCHE BÜHNE und ich für die Juni-Ausgabe 2018 den Schwerpunkt FRAUEN IM TANZ. DB-Redakteurin Ulrike Kolter und ich führten hierzu ein langes Interview mit Compagnie-Chefinnen und Choreographinnen . Das Gespräch mit den Ballettdirektorinnen Jutta Ebnother aus Schwerin, Nanine Linning aus Heidelberg und Anna Vita aus Würzburg entwickelte sich zu einem spannenden Austausch über Führungsqualitäten, Nachwuchsförderung und Geschlechterstereotype im Tanz.
Die Debatte um Geschlechtergerechtigkeit ist längst im Theater angekommen. Von den Mitgliedstheatern des Deutschen Bühnenvereins liegen aktuell 82 Prozent der Intendanzen in Männerhand, bei den Ballett- und Tanzdirektionen sind es knapp 80 Prozent. Sind Frauen die schlechteren Compagnie-Leiter? Oder hat der Tanz einfach den gleichen Aufholbedarf was Frauen in Leitungspositionen angeht wie Oper und Schauspiel?
NL: Zum einen ist es ein allgemein gesellschaftliches Problem. Zum anderen glaube ich, dass es im Tanz noch schwerer ist, die Situation zu ändern, weil wir als Tänzer früh damit aufgewachsen sind, das zu tun, was gesagt wurde und keine eigenen Fragen zu stellen. In vielen Ausbildungssituationen war das viele Jahre so.
AV: Ich denke, die Debatte ist die gleiche wie in anderen Berufsfeldern. Auch wenn es inzwischen oft heißt, dass Bewerbungen von Frauen ausdrücklich begrüßt werden, treffen nach wie vor meistens Männer die Entscheidungen – auch über die Besetzung einer Leitungsfunktion im Tanz.
JE: Der Tanz muss auf jeden Fall aufholen! Die Debatte sollte aber auch eine Qualitätsdebatte sein. Es ist in unseren Köpfen verankert, dass man die Qualität von Frauen vielleicht doch eher in Frage stellt, und ich denke manchmal: Mensch, da sind wir doch schon längst drüber hinweg! Trotzdem ist es ein noch Thema. Wie Nanine sagte: Wir wurden als Tänzerin lange so erzogen, dass wir mundtot waren, schon an den Schulen. Mittlerweile ändert sich das langsam.
AV: Es ist unbedingt eine Qualitätsfrage. Sind Frauen oder Männer die besseren Choreographen? Wenn jemand gut ist, wird der Intendant das sehen und nicht nach Geschlecht entscheiden. So kenne ich das, mir wurde da kein Stein in den Weg gelegt.
Wird Ihnen manchmal bewusst, dass Sie ihren Job eher in einer Männerwelt ausüben oder spielt das im Alltag keine Rolle?
AV: Wichtiger als zu sagen, wir haben zu wenig Frauen in Leitungspositionen, ist doch, den Tanz im Theater gleichwertig aufzustellen! Wir haben im Tanz schon immer ein besonderes Zusammengehörigkeitsgefühl, innerhalb der Truppe stellt sich die Geschlechterfrage gar nicht. Die Ballerina war ja früher wichtiger als der Partner, der im Hintergrund nur posierte. Aber viele Intendanten sehen den Tanz als etwas Nebensächliches – das ist für mich das größere Problem.
JE: Ich denke nicht viel darüber nach, wenn ich zu einer Leitungssitzung gehe…
NL: Noch spannender ist doch, über männliche und weibliche Führungsqualitäten zu reden. Traditionell hat Führung mit Macht zu tun. Mit einer weiblichen Führung kommt man eher zur Zusammenarbeit, versucht viel zu reden und nimmt alle mit. In einer Führungsposition braucht man aber auch die andere Seite. Klar, in manchen Situationen muss ich tough sein, in anderen kann ich fragiler reagieren. Und natürlich: Wenn ich als Künstlerin mit einem Tänzer arbeite, bringe ich andere Qualitäten ins Spiel, als wenn ich ein Nichtverlängerungsgespräch führe. Ich glaube, die besten Leader können beide Qualitäten nutzen. Am Ende geht es nicht immer um Macht, gleichzeitig ist es keine Demokratie und ich kann nicht immer alle glücklich machen – das geht mit 18 Leuten nicht, dann ist es egal, ob ich mit Männern und Frauen arbeite. Geht es nur um Macht und Leute die sich selbst präsentieren wollen, bin ich ganz schnell weg. Das interessiert mich nicht!
AV: Ich verurteile es, wenn Macht ausgenutzt wird – von männlichen oder weiblichen Führungskräften.
Was halten sie persönlich von einer Quote für Frauen in Führungspositionen? Derzeit tut sich ja einiges, das Staatstheater Karlsruhe hat jüngst fast seine komplette Führungsriege weiblich besetzt. Müssen wir nur abwarten?
JE: Ich glaube, von alleine passiert es nicht.
AV: Natürlich kann man aufrufen: Frauen werdet Choreographinnen, wenn ihr Talent habt und Freude am Chefsein. Aber ich wüsste nicht, wie man das künstlich nach oben treibt.
NL: Ich brauche keine gesetzliche Vorschrift. Wir können als Frauen den Mut haben, zu sagen, wir brauchen mehr weibliche Führungskräfte in den künstlerischen Leitungen! Es gibt tausend Wege, um Frauen in ihrer Arbeit, ihrem Selbstbewusstsein, ihren Fähigkeiten zu unterstützen. Das ist wichtig, eben weil es diesen Rückstand gibt. Sowohl bei der strukturellen Mitgestaltung als auch deren Vergütung.
Welche Möglichkeiten der Förderung gibt es denn? Braucht es ein Programm für Nachwuchs-Choreographinnen? Bisher dominiert ja bei den gemischten Abenden noch die männliche Handschrift…
AV: Ich hätte als Chefin Hemmungen, nur meine Tänzerinnen zu fördern und auszusuchen für einen Junge-Choreographen-Abend…
NL: Ich leite den Choreographischen Wettbewerb in Hannover: Was mich total erstaunt, ist, dass so viele junge Männer und Frauen derart konventionelle Arbeiten präsentieren: Immer tragen Männer die Frauen, Frau und Frau gibt es kaum, Mann und Mann auch kaum. Alles ist sehr stereotyp was die Geschlechter betrifft. Wenn es dreißig Jahre früher wäre, wo die Welt noch nicht so multi war, könnte ich mir das erklären, aber heute?
JE: Ich glaube auch nicht, dass man es forcieren kann. Ich bekomme ja regelmäßig Bewerbungen – und es sind wenig Frauen dabei. Ich bin gerade in einer Jury für ein Tanzfestival in Mecklenburg-Vorpommern. Es gab viele Bewerbungen, aber tatsächlich weniger Stücke von Frauen, dafür von Paaren, das tritt häufiger auf. Ich finde aber wichtig, dass die Geschlechter gerade in Jurys ausgewogen ist. Dort sieht man, dass Entscheidungen oft männerdominiert sind. Da müsste die Balance geschaffen werden, weil Frauen anders schauen, da bin ich mir hundertprozentig sicher!
Sie sprechen von einer speziell weiblichen Perspektive…?
JE: Das ist eine Hypothese, der weibliche Blick auf Choreographie, sicher.
AV: Ich glaube, Frauen können sich besser in andere Menschen hineinversetzen. Das ist ein Punkt, an dem Frauen anders hinsehen. Und was Nanine sagte: Wir können fragiler reagieren. Das können Männer seltener – um mal einen Unterschied zu machen (lacht).
Wenn wir nun gerade bei den Unterschieden sind: Frauen kriegen nunmal die Kinder. Wie stark hat die Karriereplanung Ihre Familienplanung beeinflusst?
JE: Mein Chef wusste, dass ich Kinder möchte und es war auch klar, dass ich zurück will. Ich bin danach schnell wieder voll eingestiegen und denke, mein Chef hat das auch so erwartet. Mutter zu sein, hat mich sehr bereichert und mir eine andere Dimension in meiner künstlerischen Arbeit gegeben.
Ist es ist nicht ohnehin so, dass Familienleben und Theateralltag schwer zu vereinbaren sind?
JE: Manchmal schon, ja.
NL: Ich sehe das anders, Deutschland hat sehr gute Regelungen, man darf viele Monate raus. Was ich aber vermisse, sind gute „Role models“, die zeigen, dass beides geht: Karriere und Kind. Das passiert überall auf der Welt, warum nicht im Tanz? Wir sollten uns das als Frauen nicht wegnehmen lassen. Man will es oder man will es nicht. Das ist eine persönliche Entscheidung. Und natürlich arbeiten wir im Theater viele Stunden und ich will so viele Stunden arbeiten, weil es meine Leidenschaft ist! Weil wir weniger weibliche Choreographen und Leiterinnen an deutschen Stadt- und Staatstheatern haben, trauen sich das noch nicht so viele. Wir brauchen starke Frauen!
Ist eine Leitungsfunktion am Theater vereinbar mit Mutterschaft?
JE: Bei mir gab es keine Entscheidung zwischen Familie oder Ballettdirektion. Ich wusste, dass es irgendwie zusammen geht, auch weil ich einen Partner habe, der mir die Augen frei hält. Ich könnte keine allein erziehende Mutter sein und ich hätte auch Probleme, ein zweites Kind zu haben, dann wären die Kinder mehr bei der Tagesmutter als bei mir. Meine Tochter ist jetzt sieben, aber ich erinnere mich noch, als sie zwei oder drei war, ich jeden Abend zu Endproben musste und sie nie ins Bett bringen konnte. Das hat mir fast das Herz gebrochen, aber ich habe auch viel gelernt über mich und das, was ich habe. Mein Mann hat da natürlich viel geholfen, auch weil er als freiberuflicher Künstler zu Hause arbeitet und das Programm absolviert, wenn ich bis spät abends im Theater bin.
AV: Ja, es muss der richtige Partner da sein. Ich habe bis 40 getanzt und in dieser Zeit nicht das Gefühl gehabt, ich muss jetzt noch ein Kind kriegen, sonst ist es zu spät. Ich bin in meinem Beruf voll aufgegangen, das war für mich wichtiger als Familie zu haben.
Zum Schluss noch eine Frage zur Besetzungspolitik: Im klassischen Ballett ist ja die Ballerina die wichtigere Figur im Geschlechterkarussell. Im Schauspiel dagegen gibt es für Frauen (ab einem bestimmten Alter) eindeutig weniger Rollen als für Männer, weshalb zunehmend Männerrollen auch mal mit Frauen besetzt werden. Gibt es solche Fragen über geschlechtergerechte Besetzung auch im Tanz?
Anna Vita: Es kommt darauf an, in welchem Feld man sich bewegt: Man muss ja keine Stücke machen, in denen Rollen vorgeschrieben sind. Im Tanz können wir da viel mehr experimentieren als im Schauspiel.
NL: Ich mache wenig Unterschied zwischen Frauen- und Männerrollen. Oft ist die Kleidung genderneutral, da muss ich nicht unbedingt eine Gender-Geschichte mitnehmen. Hauptsache es geht um Leidenschaft, Energie, Ausstrahlung, Technik. Mir ist wichtig, dass Frauen nie diese zerbrechlichen, lieben Wesen auf der Bühne sind, sondern groß sind und Power haben. Da versuche ich in meiner Arbeit, egal ob Solo- oder Gruppeszene, eher gegen die im historischen klassischen Ballett vorgegebene Frauenrolle zu gehen.
JE: Ich verlange das ich auch von meinen Tänzerinnen. Wenn ich ein klassisches Stück mache oder einen klassischen Schritt benutze, versuche ich, nicht nur die Dekoration und das Schöne herauszukehren sondern auch die Kraft. Es ist interessant, wie verdutzt meine Tänzerinnen (alle zwischen 25 und 35) oft reagieren, wie verankert diese Bild ist, in erster Linie superschön zu sein.
Sind denn, etwas provokant gefragt, die Ballettschulen Schuld daran, dass junge Tänzerinnen zu lange in traditionellen, klein machenden Strukturen gehalten werden?
JE: Ich kann nur aus meiner Erfahrung sprechen: Die Lehrer, die mich unterrichtet haben, sind heute immer noch da. Die gehen nicht raus aus ihrer Box, sondern haben ihr System. Sicher gibt es Ausnahmen, aber ich weiß von Ballettakademien, da wird dieses Bild noch sehr konform verlangt. Und das hat mit dem, was wir an unseren Theatern machen, nicht mehr viel zu tun.
AV: Ich glaube, die Schulen berufen sich immer auf die Compagnien und sagen, wenn ihr dann in der Compagnie seid, lernt ihr, eure Persönlichkeit rauszuholen – aber vorher müsst ihr den Lehrplan einhalten, Spitzentanz lernen, Pas de deux lernen, das Repertoire. Aber seine Persönlichkeit zu finden, muss vorher schon passieren, in den Schulen!
NL, Sie haben in den Niederlanden Ihre Ausbildung gemacht, wie ist Ihre Perspektive?
NL: Es ist natürlich ein Unterschied, ob man eine klassische oder zeitgenössische Ausbildung macht. In der Klassischen wird man trainiert, leicht zu sein, stark, aber oft wird sich vor allem auf Eleganz fokussiert. Bei Auditions schaue ich nach starken Frauen, die eine gleichberechtigte körperliche Entwicklung haben. Ich liebe es, wenn Frauen tolle Springerinnen sind! Ich versuche Tänzer zu engagieren, die weit weg sind von Stereotypen. Aber es ist ein Prozess, es geht nicht so schnell, wie wir uns das wünschen. Und deshalb ist es so wichtig, dass wir im Moment diese Diskussion nicht nur führen, sondern die Entscheidungsfindung aktiv mitgestalten! Ich wünsche mir aber, dass wir künftig gar nicht mehr über dieses Thema sprechen müssen.
Interview: Alexandra Karabelas und Ulrike Kolter, DIE DEUTSCHE BÜHNE 06/2018. Fotos: Hans-Peter Ferst (Cindy Hammer), Lioba Schöneck (Anna Vita) Silke Winkler (Jutta Ebnother), Theater Heidelberg (Nanine Linning).
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