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Die vier Jahreszeiten? - Waren einmal. Über Giuseppe Spotas Neuinterpretation von Vivaldis Meisterwerk

Die vier Jahreszeiten? – Waren einmal. Über Giuseppe Spotas Neuinterpretation von Vivaldis Meisterwerk

19. Januar 2019
Author: Alexandra Karabelas
Category: Journalistische Beiträge, über tanz denken, Veranstaltungen, Verschiedenes
Tags: Giuseppe Spota, Karabelas

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„Die vier Jahreszeiten“ von Antonio Vivaldi? – Waren einmal. Heute überholt der Sommer den Frühling, die Eisberge in der Antarktis schmelzen ab und Dauerregen lässt die Bäche über die Ufer treten. Vom Müll in den Meeren ganz zu schweigen. Man kann Vivaldis weltbekanntes Opus Magnum aus dem Jahr 1725 heute nicht neu vertanzen, ohne sich des besorgniserregenden Zustands der Erde und ihres Klimas bewusst zu sein. So dachte Giuseppe Spota, choreographischer Assistent von Stephan Thoss am Nationaltheater und designierter Ballettchef des Musiktheaters im Revier in Gelsenkirchen. Und Recht hat er. Die Premiere des neuen Mannheimer Ballettabends überzeugte auf ganzer Linie. Spotas Neuinszenierung der „Vier Jahreszeiten“ ist wertvoll. Sie geht, das vorab, unerwartet mit dem Kunstdiskurs in der Stadt in Dialog. Und sie passt kongenial zum zweiten Stück des Abends, Johan Ingers fabelhaftes „Empty House“ aus dem Jahr 2002.

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Der Schwede hatte das choreografisch und tänzerisch exzellente Werk zu Musik Félix Lajkó in einer schmerzhaften Zeit geschaffen. Viele Jahre einer der profiliertesten Tänzer des berühmten Nederlands Dans Theater (NDT), verarbeitete Inger in diesem Stück den kurz zuvor erlebten Weggang des langjährigen Direktors Jirí Kylián vom NDT. Seine Bühne: betörend. Ein von Energien und Emotionen dicht angereicherter Niemandsort, konstruiert als White Cube, in dem eine einzelne Stoffbahn eine Wand markiert. Der atmende Raum wird so zum magnetischen Kreuzungspunkt verschiedenster, rasant und virtuos formulierter Rhythmen und Bewegungsstrukturen, die das Ensemble fabelhaft präzise durchdekliniert. Auf einer höheren Ebene geht „Empty House“ in Dialog mit Spotas „Vier jahreszeiten“. Es formuliert die Verlorenheit und Desorientiertheit von Menschen an einem Ort, an dem die gewohnten, organischen Abläufe nicht mehr funktionieren.

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So wie die Jahreszeiten auf der Erde. Als Gesamtkunstwerk aus zeitgenössisch choreographierten Bewegungsflüssen, Sound, Licht und szenischer Darstellung entwickelt Spotas Neuinszenierung nahezu einen Thrill. Als ob man „Romeo und Julia“ vorgesetzt bekommt, hofft man bis zum Schluss vergeblich, die Geschichte zwischen dem Menschen und der Erde möge noch gut ausgehen. Tut sie aber, nach aktuellem wissenschaftlichen Stand, nicht. Spota zeigt das drastisch und mit zunehmender Ironie. Denn dicke Röhren aus Plastik bilden im ersten Bild einen unterirdischen Wald der Entfremdung von der Natur. Tänzer in den verknitterten Röhren, die plötzlich wie zerrissene Reagenzgläser wirken, versinnbildlichen Pflanzen, mit denen andere nichts mehr anzufangen wissen. Jene tragen überdimensionale Gartenhandschuhe und wühlen sich um jene Materie, die einmal lebte. Frühling ade, fällt einem da ein. Den Sommer siedelte Spota am Meer an. Ein Paar, gekleidet in Tauchhosen und durchsichtigen Plastiktops, versucht sich an einem Strandspaziergang Während sie das Wasser berühren möchte, hält er sie zurück. Denn eine Sonne aus weißen Plastikkanistern schwebt vom Bühnenhimmel und suggeriert eine von Unrat überschwemmte Wasseroberfläche, die bald zum dominierenden Objekt der Gruppenchoreographie wird. Spota gestaltete den Übergang zum schlicht beeindruckend. Meeresrauschen spült sich in die Ohren des Publikums, das Licht wandert in Wellen über alle Zuschauerreihen. Man schloss die Augen und war selbst dort, an diesem verschmutzten Strand, der Kraft des Wasser ausgesetzt. Weitere Zuspitzungen beinhaltete das Werk ab dem Herbst. Wie einst in „Singing in the Rain“ springt ein Herr im durchsichtigen Plastikmantel und viel zu lauten Schritten im Kreis um die wie sich wie zu Blätterhaufen zusammenfindenden Tänzer. Zum Schluss greift er zu einem Laubsauger und pustet ungeniert die herumliegenden Tänzer vom Platz. Gelächter im Publikum. Nicht fehlen dürfen am Ende die Eisbären. Umringt von auf einer weißen Fläche vorher herum schlitternden Menschen, beklatschen diese unverhohlen den Überlebenskampf des tierischen Paares. Wie in allen vier Konzerten, mischten sich andere Töne, Sounds und Stimmungen in die bekannten Melodien. Die Komponistin Hanna Green hatte ganze Arbeit geleistet, Vivaldis Komposition auch auf der Musikebene zu dekonstruieren. Fehlen zum Schluss nur noch Thierry Geoffreys Protestzelte auf der Bühne, die derzeit die Kunsthalle Mannheim besetzen. „Zeitgenössische Kunst ist immer zu spät, nie rechtzeitig“ steht da auf einem. Oder „Kunst in Verspätung kann keinen Einfluss ausüben“. Stimmt. Aber Spotas Neukreation öffnet die manchmal für sich stehende Welt des Tanzes für die Dringlichkeit des Weltgeschehens. Spota hat mit seinem Werk auch eine Verbindungslinie zum immer performativer werdenden Kunstbegriff der Kunsthalle geschaffen. Die Mannheimer dürfen sich glücklich schätzen.

Autorin: Alexandra Karabelas, erschienen in der Rheinpfalz am 14.01.2019

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Ich danke von ganzem Herzen den Tänzern Kilta Rainprechter, Kerstin Portscher, Sara Leimguber, Nylea Mata Castilla, Tina Essl, Chia-Yin Ling, Julia Leidhold, Lea Geerkens, Wolfgang Maas, Olaf Schmidt, Adrian Navarro, Andrew Hill, Sebastian Eilers, Martin Wax, Stephan Herwig, Winfried Scholten, Philipp Meyer und Stefan Dreher, der Kostümbildnerin Bianca Hedwig-Schmid, dem Lichtdesigner Erhard Bablok, den Musikern Reinhold Bauer, Anka Draugelates und Frank Wendeberg, der Maskenbildnerin Katharina und dem Videofilmer Clemens Rudolph, dass ich mit Ihnen arbeiten durfte und darf.

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