Sie schreien. Lautlos. Ihre Gesichter werden zu Fratzen voller Leid. Sie schreien aus Zorn, aus Wut, aus Entsetzen, aus Angst oder aus Schmerz. Aufgerissene Münder, wie sie Edvard Munch malte oder Francis Bacon. Körperbilder einer neuen Moderne. Es sind aggressive Schreie und leisere Schreie. Aber immer ist es ein Schrei. Es sind vielleicht jene Momente in Markowitz´ “Metamorphosen“, die kaum mehr auszuhalten sind. Ihre Körper winden und krümmen sich. Sie ringen miteinander, kämpfen und muten sich gegenseitig schreiend zu. Sie sind den Menschen hier vielleicht am ähnlichsten – die Götter.
Bevor wir sprechen, schreien wir. Der Schrei hat seinen Raum vor der Sprache und seine Zeit direkt in den ersten Sekunden unserer vollzogenen Geburt, wenn wir bereits die größte Reise des Lebens hinter uns gebracht haben. Worte über uns oder die Welt entstehen erst danach. Oder werden nicht gefunden. Der Mensch hat seinen lautlosen Raum in seinem Inneren.
Sie verschwinden erschöpft in der Menge. Sind verausgabt. Allein. Haben sich vielleicht verloren. Sie zittern. Sie atmen. Das ist kein Tanz mehr. Nicht mal mehr Gestik. Dann machen sie weiter. Ihre Bewegungen gleichen manchmal Kampfkünsten. Sie setzen immer wieder ihre Maske auf. Werden Herdentiere. Personen, die, wie der Psychoanalytiker Carl Gustav Jung sagte, Individualität nur vortäuschen, um sich an das System anzupassen, in dem sie leben. Um jene Rolle zu spielen, die sie sich ausgesucht haben. Bewusst oder unbewusst.
Es ist ein hartes, patriarchales System, das das Stück „Metamorphosis“, uraufgeführt als dritter Teil des Ballettabends „Verwandlungen“ am 26. Januar 2019 am Theater Pforzheim, auf der Bühne inszeniert. Die beherrschende Figur ist ein Mann der Macht. Es gibt diese Männer noch. Markowitz wählte als Vorlage Zeus. Wie ein Gebieter wirkt er. Ein Mann, der in sich dort ruht, wo er, wie eine Infusion, das hinein träufelt, was er sich von den anderen holt. Schönheit. Sinnlichkeit. Leidenschaft. Selbstaufgabe. Sein Trieb ist Macht. Der Weg geht über die Eroberung. Zeus nimmt sich, wen er möchte. Er wählt. Beziehungen sind danach zerstört. Frauen werden schwächer. Hera, eine scheinbar stählerne Göttin, die immer wieder zu ihm rennt, bittet, bettelt, bleibt, aushält, ist seine Frau. Einen beschützenden, erlösenden Feuervogel, wie ihn das erste Stück dieses Premierenabends vorstellte, gibt es hier nicht. Der Einzelne, seinen Gefühlen und Mustern ausgeliefert, wäre hier gefordert.
„Für mich ist der dritte Teil der „Verwandlungen“ ein Tag auf dem Olymp, ein Tag bei den Göttern“, sagt Guido Markowitz – den Göttern auf Erden.
Autorin: Alexandra Karabelas, erschienen am 26.1.2019 in Programmheft „Verwandlungen“, hrsg. vom Theater Pforzheim. Fotos: Andrea D ´Aquino.
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