Sascha Koal präsentierte die erste Tanz-Premiere im Theater Felina-Areal „A Boxful of Dancers“ hinter Plexiglas-Scheiben
„A Boxful of dancers“ – Sascha Koal hatte den Titel seines ersten Tanzabends in Corona-Zeiten in seinem Theater Felina-Areal wörtlich genommen. Stolz zeigt der leidenschaftliche Theatermann mit dem blonden Zopf, womit er seinen Sommer verbracht habe. Hohe von Sperrholz eingefasste Plexiglasscheiben säumen perfekt auf drei Seiten die Kante des schwarzen Tanzbodens. Nach oben ist rund ein Meter offen. Sie bilden einen Guckkasten, der irgendwie an ein leeres Aquarium erinnert. Dahinter sitzt mit vergnügten Gesichtern das aus Gründen der geltenden Abstandsregeln spärliche Publikum. Endlich wieder Tanz, schießt einem in den Kopf. Denn schon die ersten Minuten, in denen Amelia Eisen im schwarzen glitzernden Oberteil die ersten, vielsagenden Bewegungen der für sie geschaffenen Choreografie von Veronika Kornova-Cardizzo entfaltet und ihre Haut im Licht plötzlich Buchstaben aufblitzen lässt, die das Wort „Corona“ bilden, erinnern daran, was lange nicht möglich war: mit allen Sinnen einem tanzenden Menschen zu folgen und seiner mit dem bewegten Körper erzählten Episode über sich, die Welt, die Gesellschaft, das Leben und den Tod nachzuspüren.
Elf Kurzstücke hatte Koal von Choreografen aus der freien Szene vor Ort ins Programm gehoben – zusammen mit den vorgeschriebenen zwei Pausen erlebte man so einen Abend, wie man ihn sonst nur von Aufführungen langer Handlungsballette kennt. Die Tatsache, dass es sich ausschließlich um Solotanzstücke handelte, verlieh dem Abend nicht nur besonderen Esprit, sondern zeigte auch, wo die Szene gerade steht.Von großer aktueller Bedeutung war in diesem Zusammenhang die Kreation von Michael Bronczkowski „Hold it“. Bronczkowski, früher Tänzer des Stadttheaters Giessen und Nationaltheaters Mannheim, inszenierte und tanzte prägnant, ironisch und mitten ins Herz treffend in seinem raumgreifenden Solo die stressige Erfahrung, sich als Mensch mit dunkler Haut in einem Alltag zu behaupten, in dem Menschen mit weißer Haut als Universalmodell gelten. Am Ende drückt er sich in die dunkle Ecke und schlägt sich selbst, während das Scheinwerferlicht die weiße nackte Schaufensterpuppe beleuchtet. Mit Sarai Patisson tanzt auch in Mike Planz´ Uraufführung „Manman“ eine Tänzerin mit dunkler Hautfarbe. Gerade sie ist es, die dem Stück eine gesellschaftliche Schlagkraft verleiht. Denn wie Bronczkowsk thematisieren Planz und Patisson das Thema Ausgrenzung, nur existenzieller, in Form einer Abspaltung seelischer Bedürfnisse. Wie eine Göttin übergibt sie sich den hämmernden Beats und den grellen Lichtern, die die Tanzfläche für kurze Zeit in einen Club verwandeln. Der Strahlkraft ihres immer mehr verkrampfenden Körpers steht das in ihrem Gesicht sich zunehmend abzeichnende Entsetzen gegenüber. Im Vergleich dazu wirken “Veronika“von Aki Kato, aber auch „Uzumaki“ und „Maze“ nochmals von Planz eindimensional. Es fehlt jenes Moment, das ein Tanzstück über das Vertanzen individuell erlebter Momente, Gedanken oder Konflikte hinausführt. Eben dies leisten die herausragenden Soloarbeiten „Maybe Tomorrow“ und „Flights of Fancy“ von Catherine Guerin. Die Grande Dame des Tanztheaters, die man sich mal wieder als Choreografin eines abendfüllenden Werks wünscht, ließ in zu undefinierbarer Geräuschkulisse Kirill Berezovski kunstvoll improvisieren während sie selbst auf englisch Sätze über die Zeit „als eine Form die Du sehen kannst“ ins Mikro haucht. Als ob sich eine Mischung aus Matisse´ Skulptur „Der Sklave“ und Rodins´ “Denker“ in Bewegung setzt, einsam und fern der Erde wie ein einzelner Mann auf dem Mond setzt, schiebt sich Berezovski in den Raum. Zum Schluss verfällt er in zittriges, ihn krümmendes lautloses Lachen – was für ein komplexes Statement über Existenz, Einsamkeit und Menschsein Menschsein in Zeit und Raum. Ähnlich intensiv, aber skuriler und näher am Alltagsleben lässt sie Amelia Eisen als poetisch Traumwandlerin agieren. Den Kopf in ein Buch gedrückt, vermag sie nur langsam, die Welt außerhalb von Intellekt mit ihrer eigenen Fantasie wahrzunehmen. Irgendwo dazwischen tummelten sich die anderen Uraufführungen, die, sei es „7:36“ von Sarah Herr, „Distancing“ von Christina Liakopoyloy oder „Lock Down – Night Out“ von Crystal Schüttler, oft mit einem starken Bild einen guten Anfang nahmen, sich dann aber im Zuge dramaturgischer Schwächen in einer einzelnen Idee verloren.
Alexandra Karabelas, erschienen in der Rheinpfalz am 21. September 2020
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