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Jonas Frey überführt urbanen Tanz in zeitgenössische Choreografie

Jonas Frey überführt urbanen Tanz in zeitgenössische Choreografie

2. August 2021
Author: Alexandra Karabelas
Category: Journalistische Beiträge, über tanz denken, Verschiedenes
Tags: Jonas Frey; EinTanzhaus Mannheim; urbaner Tanz; Karabelas

Nur vierzig Minuten dauerte die Tanzperformance der vier urbanen Tänzer am Wochenende im Eintanzhaus. Im Zeitgenössischen Tanz entspräche dies vielleicht siebzig Minuten körperlicher Arbeit,  in Ballett umgerechnet etwa drei intensiven zehn Minuten-Duetten aus Handlungsballetten. „Balletttänzer sagen mir immer:Oh, das sieht nach harter Arbeit aus“, erzählt Jonas Frey grinsend nach der Aufführung. „One of Us“, so der Titel seines Stücks ausschließlich mit urbanen Tänzern, ist aber kein Showact urbanen Tanzens gewesen, sondern bedeutend mehr: ein künstlerischer Versuch, das urbane Tanzen als choreografisches, von Menschen erzählendes und die Gegenwart spiegelndes  Kunstwerk für die Bühne urbar zu machen. Das ist Frey, der seit Jahren erfolgreich in der Freien Szene in Mannheim und Heidelberg aktiv ist,  gelungen. Denn „One of Us“ ist, wenn man so will und auch wenn das vielleicht von Frey gar nicht beabsichtigt war, das perfekte Tanzstück im Kontext unserer aktuellen Zeit, die in gesellschaftspolitischer Hinsicht am Siedepunkt ihrer rauen Identitätsdebatten angelangt ist. Wie das? –

Sie behalten sich im Auge, sie kommunizieren mit Tanz

Schon beim Betreten des Aufführungsortes stehen Frey sowie und Albi Gjikaj, David Kwiek und Joseph Simon im typischen urbanen Kleidungsstil aus Turnschuhen, leichten Oversize-Hosen, Thirts und Jacken als Gruppe zusammen. Sie sehen sich an. Aus den Lautsprechern wogt sanfter, von AZLAY zusammengestellter Sound, der sich wie das Rieseln von Sand unter Wasser anhört. Langsam verändert sich das Gleichgewicht in der Gruppe. Einer steht in der Mitte, wird von den anderen taxiert. Dann passiert dies einem anderen. Aus dieser realistischen Darstellung einer Alltagssituation unter Männern finden die vier langsam in Bewegungsmuster. Leichtfüßig mäandern sie so über die Tanzfläche. Sie behalten sich im Auge. Sie kommunizieren mit dem Tanz. Unerwartet und raffiniert werden Bewegungsvorgänge komplexer. Die Qualitäten und Besonderheiten der einzelnen Tänzer hinsichtlich ihres jeweils bevorzugten Tanzstils kommen auf faszinierende Weise zum Ausdruck, so etwa bei David Kwiek, der ein Vertreter des Popping ist: Harte, abrupt abgebrochene und wie eingefrorene Bewegungen vor allem der Arme wechseln sich ab mit wunderschönen weich fließenden Wellenbewegungen. Frey, Simon und Gjikaj gehören dem Breaking an, bei dem das markanteste Merkmal die Umdrehung des Körpers ist: Bei Breaking passiert viel auf dem Boden und in der Luft. Der Körper dreht sich auf Schulter, Kopf oder gar kurz in der Luft um die eigene Achse. Es war William Forsythe, der vor Jahrzehnten in diesem Zusammenhang bereits einmal sinngemäß sagte, dass HipHop als neuem  Maßstab den Bühnentanz  verändern würde.

Urbaner Tanz als kulturelle soziale Praxis der Selbstbehauptung

Choreografisch wendet Frey alle Prinzipien an, die man vom Aufbau einer Choreografie kennt: kanonisches Tanzes, bei dem ein kurzes Solo in das Solo eines anderen übergeht, synchrones Tanzen von allen, Duette. Der Sound bleibt durchgehend sphärisch, sensibel, betont das Räumliche, so dass die tanzenden Körper sich in ihr als eigene Sprache entfalten können. So genussreich und bezaubernd die ungeheure Virtuosität der Tänzer ist – in „One of Us“ steht diese dennoch nicht im Vordergrund, auch wenn man sie eindrucksvoll erleben darf. Vielmehr begreift man, wie sehr das urbane Tanzen von jedem Einzelnen ein Ausdruck seiner selbst in einer Gruppe, einer Gemeinschaft, einer Gesellschaft ist. Urbaner Tanz ist eine soziale kulturelle Praxis der Selbstbehauptung, eine Sprache, die benutzt wird, um zu sagen, dass man ein Bedürfnis nach Anerkennung hat. Diese wertvolle Botschaft lässt Frey sein Stück ruhig, sensibel und ohne Aufhebens formulieren. Dramaturgisch ruft „One of Us“ demzufolge genau jene emotionalen Momente auf, die mit der Erfahrung von Gesellschaft zu tun haben: dem Wunsch nach Gesehen werden, nach Kontakt, nach Austausch, nach Gemeinschaft. Auch Erlebnis von Aggression und Konfrontation, nach wieder Zusammenkommen hat seinen Platz. Was will an mehr?

Text: Alexandra Karabelas. Erschienen in der Rheinpfalz am 20.07.2021. Fotos: Lys Y. Seng

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Ich danke von ganzem Herzen den Tänzern Kilta Rainprechter, Kerstin Portscher, Sara Leimguber, Nylea Mata Castilla, Tina Essl, Chia-Yin Ling, Julia Leidhold, Lea Geerkens, Wolfgang Maas, Olaf Schmidt, Adrian Navarro, Andrew Hill, Sebastian Eilers, Martin Wax, Stephan Herwig, Winfried Scholten, Philipp Meyer und Stefan Dreher, der Kostümbildnerin Bianca Hedwig-Schmid, dem Lichtdesigner Erhard Bablok, den Musikern Reinhold Bauer, Anka Draugelates und Frank Wendeberg, der Maskenbildnerin Katharina und dem Videofilmer Clemens Rudolph, dass ich mit Ihnen arbeiten durfte und darf.

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