Das neue Mannheimer Festival „Subs_dance“ lotet in der Disco Zwei genderqueere Möglichkeiten für den Zeitgenössischen Tanz aus 
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Wie ein Messer mit scharfer Schneide lässt Miro Mitrovic seinen rechten Unterarm hart am Ohr vorbei durch die Luft zischen. Knie und Beine folgen dem Aufruf. Fünf Mal macht er das. Dann: kurze Pause. Er beginnt wieder damit. Immer wieder. Währenddessen betritt leise von vorne Julia Monschau die Mitte der kleinen Bühne. Eine Frau zwischen allen Zeiten: Das Gesicht jung wie ein Mädchen, das Haar aber schon leicht ergraut. Von innen leuchtend, nimmt Monschau, in die Ferne blickend, mit ihrer Präsenz für sich ein, obwohl sie dem Publikum ein bizarres Lachen präsentiert, das auch aus den Lautsprechern wabert, wenn sich ihre Gesichtszüge beruhigen. Irgendwann ist Mitrovic bei ihr. Fasst sie am Arm, nie aufhörend mit seinem markanten und dennoch fließenden zeitgenössischen Tanz. Er holt Monschau in ein wunderschön anzusehendes, schnörkelloses Duett. Beide tragen schlichte erdfarbene Hosen und Hemden. Wie Mann und Frau irgendwo in einer Landschaft mit Bäumen und Wolken wirken sie. Zwei Menschen. Dass Sehnsucht thematisch ihr gemeinsamer Nenner sein könnte und beide verschiedene performative Darstellungen  über dieses Thema vorführen, wird klar, als Kelly Heelton die Szenerie betritt. Unwirklich schön geschminkt, mit langem blondem Haar und schwerem Schmuck an Ohr und Hals, fügt der brasilianische Schauspieler, Sänger und Drag-Künstler in verschiedenen Sprachen Worte wie ein Gedicht aneinander und lässt sie voll Seelenschmerz in den Raum fallen. Es sind Worte wie  „Besame“, „Küss mich“ bis „Fly High“. „Wie viele Teile muss ich in mir töten bis ich akzeptiert bin?“ Auch diesen denkwürdigen lässt sie fallen. 

„Wenn ich tanze, bin ich ich. Nicht Mann oder Frau“, erzählt Mitrovic anschließend, der auch unter dem Künstlernamen Zero Angels bekannt ist ist und zudem zu den profiliertesten deutschen Voguing-Tänzern der ersten Generation gehört. Zwei Wochen haben er, Monschau und Heelton im Rahmen einer Residenz in der Disco Zwei an dieser gemeinsamen Kreation mit dem poetischen Titel „Hinterland“ gearbeitet. Man hätte große Lust zu erleben, wie sie diese verdichtete, verschiedene Ausdrucksweisen in den Bereichen Tanz, Drag und Queer zusammenführende Arbeit dramaturgisch weiter entwickeln würden. „Hinterland“, aber auch die vorausgegangene, einnehmende Mini-Performance der queeren Künstler Black Pearl de Almeida Lima, Tänzer bei Richard Siegal, Opernsänger Kameron Mitchell Locke und der Performerin Litchy Ly Friedrich, lassen erahnen, wie in diesen tatsächlich grenzüberschreitenden Arbeiten eine nahe Zukunft des Bühnentanzes liegt, sei es in der freien Szene oder an den Theatern. Darauf will das neue, in der Disco Zwei angesiedelte „Subs_Dance-Festivals“ hinaus: Tanz und Performance an den Schnittstellen von Club und Bühne als neue Möglichkeit für die Zukunft auszuloten.

Wann erreicht genderqueere Ausrichtung die Hochkultur?

Ausgedacht haben sich das vom Berliner Fonds Darstellende Künste geförderte neue Mannheimer Festival Clubinhaberin Carolin Ott, der zeitgenössische Tänzer und Choreograf Tobias Weikamp und die Komponistin und DJane Angie Taylor. Ott ist bereits seit mehreren Jahren dahingehend unterwegs, ihren  traditionsreichen Club zu einem musikalisch ambitionierten und menschlich weiterhin freien und geschützten Raum weiterzuentwickeln, an dem ein möglichst heterogenes, diverses Publikum seinen Stammplatz finden darf. Als die Pandemie sie zwang, ihren Club zu schließen, kam sie auf den Gedanken, den Raum mit dem zu füllen, was da ist. Und das seien die Künstler, erzählt sie. „Die Kunst lebt ja schon längst die genderqueere Ausrichtung, nur hat sie die sogenannte Hochkultur immer noch nicht erreicht“, sinniert sie im Hinterhof sitzend.  Tobias Weikamp, Tänzer unter anderem bei Eric Trottier, und beruflich verbandelt mit Tayler als einer der international erfolgreichsten deutschen DJanes, interessierte sich wiederum für das Experiment, die Selbstreferentialität in der eigenen Szene aufzubrechen und den Club als Ort von Performance auszuprobieren. Er gab an diesem Abend den Conferencier. „Wir  mussten uns am Anfang schon viel absprechen“, erzählt er am Rande. „Die zeitgenössische Tanzbühne und ein Club ticken völlig anders.“ Und so wartet man beispielsweise gleich am zweiten Abend des bis 15. August dauernden Festivals bis es los geht, weil das Publikum eines Clubs einfach später kommt. Dessen ungeachtet lassen die noch angekündigten Abende viel Gutes erwarten: Am heutigen Samstag (7.8.) ab 14 Uhr gibt es einen Schwung bringenden Dance Drag Contest, kombiniert mit Stücken aus der freien Szene, am Sonntag (8.8.) dann ein Drag Bingo. Ballroom-Flair inszeniert  am 14.8. Kiki Function. Weiteres Highlight ist schließlich am 15.8. die Vorstellung „Shirley Not“ von und mit Douglas Bateman aus Köln.

Von: Alexandra Karabelas. Erschienen in der Rheinpfalz am 06.08.2021