Über Anna Melnikovas choreografisches Projekt „Intakt“, gesehen am Societaetstheater Dresden im Rahmen der Tanzwoche Dresden

Dresden, 28.4.2014 – Unbehagen bestimmt in den ersten Minuten das eigene Fühlen. Man sitzt im Dunkeln, hört das gleichmäßige Ticken einer Uhr und sieht sich einer Unbekannten gegenüber, die sich schemenhaft auf einen so weit zu bewegt dass man die Situation als bedrohlich empfindet. Eine dunkle, konturierte, das Publikum überwachende Schattenfrau, die sich alsbald wieder verzieht. „Intakt“, so der Titel der nun folgenden, einstündigen  Performance, scheint hier nichts.

Im Gegenteil. Man tastet, Arm in Arm mit dem Gefühl der Überforderung,  im Dunkeln und sehnt sich nach Ordnung, Klarheit und Überblick. Aber die Welt ist nicht so.  Die Welt ist brüchig und hat ein Eigenleben und das Leben darin ist so fragil und gleichzeitig stark wie der nackte Rücken, den Anna Melnikova im nächsten Moment, den Kopf in die Raumecke gepresst, dem  Scheinwerferlicht entgegenwölbt. Das Thema ist gesetzt: Es ist die Frage nach Freiheit wenn die vernetzte Welt zwischen Gestaltungslust und Überwachungsdrang hin und herpendelt.

Zur Anschauung kommt diese Welt alsbald akustisch und visuell. Der zuweilen kaum auszuhaltende Großstadtlärm mit seinen vielen, durch die Bewegung der Verkehrsmittel erzeugten Geräuschen steht dem langsameren Rhythmus der, ach wie altmodisch, „Seele“ diametral entgegen. Die Person dazwischen zerreibt sich zwischen Innen und Außen wie die als Staub aufwirbelnde Kreide, mit der Melnikova, getrieben wie ein Aufziehmännchen Striche und Bögen auf die Bühnenrückwand schreibt. Als Motor wirken die Silben, Laute und Worte, die  Poetin Cia Rinne im kurzen blauen Retrokleidchen am Tischchen wie eine vergessene Sekretärin sitzend wie gezielte Pistolenschüsse aus ihrem Mund zischt.  Wer setzt sich gegen wen durch? Der sich verausgabende, wunderschön bizarre Körpergesten formende Körper der Tänzerin Melnikova? Die Worte oder gar der Klang, den Marcus Thomas auf der Bühnenseite links an Knöpfen drehend elektronisch erzeugt? Anna Melnikovas  choreografisches Projekt „Intakt“ dreht sich auch um diese Frage: Was ist Dein Rhythmus im Vergleich zum Rhythmus der Welt und setzt Du ihn auch gegen Dich selbst durch? Was klingt wie und was ist stärker: Körper, Stimme oder Musik? Wann und wie fallen alle in eins?

Die Performance der drei unterschiedlichen Künstler behandelt diese Fragen in unterschiedlichen Stimmungen und anhand verschiedener Aktionen.  Gemeinsam gestalten sie das Tauziehen zwischen den drei künstlerischen Ausdrucksmitteln des Menschen mal skurril, mal surreal oder auch voller Poesie als Symbol für den durcheinander geratenen Zustand der Welt. Gemeinsam finden sie zu ebenso lustig-befreienden, absurden Walks wie zu Momenten, in denen Verausgabung und Erschöpfung und die Sehnsucht nach erfrischender Ruhe spürbar werden.  Sinnbildlich spielen sie in diesem Zusammenhang mit dem Raum: Fenster werden geöffnet; die Eingangstür des Publikums; die Nischen hinter den schwarzen Vorhängen. Irgendwann sitzen alle drei vorne rechts auf Stühlen und rattern schnell und engagiert stereotype Freund-Feind-Länder-Statements in den Raum. Die Staaten der Welt und die Frage ob man sie als Schurken oder als Verbündete betrachtet, werden zum aberwitzigen Sprachkanon umgebaut; zur staunenswerten Fuge aus Meinungen und Überzeugungen. Lebendig wird so die ganze Geschichte des 20. Jahrhunderts im Spiegel ihrer so porösen wie beharrlichen, oft ändernden Sprachschemata, wie sie aktuell auch im Angesicht der Ukraine-Krise wieder hochschnellen. Endlich, im Verhaspeln und Verstolpern der Worte am Schluss, tut sich jene wohltuende Lücke auf, die Freiraum ermöglicht – und ein klares Statement innerhalb der Performance als auf sich selbst verweisendes Kunstwerk: Dass der Kampf zwischen Körper und Stimme um die Vorherrschaft immer noch zugunsten des Logos geführt wird. Die Lösung aber liegt, so könnte man herauslesen, in der Gemeinschaft jener Körper die jenseits der trennenden Sprache aufeinander zugehen. Oder wie soll man den befreiten Ausruf von Marcus Thomas zum Schluss verstehen: „Let´s Dance“.  Es traut sich nur keiner aus dem Publikum.

Autorin: Alexandra Karabelas