Jeder kennt das: Kurz vorm Aufwachsen rauscht und knistert es im Kopf. Kaum zu stoppen ist das Geschehen im Halbdunkeln, das vor dem inneren Auge vorbeirast. Eine Frau, deren Arme sich vermehren; eine andere steht mit verdrehten Gliedern auf einem Podest. Bizarr verknoten und heben sich umeinander drei mit langen Gliedern und einem überraschend gewendeten Kopf. Ein rascher, erleichternder Atemzug, als man aufwacht.

„Doll Songs“ – „Puppenlieder“ nennt Douglas Lee seine neue Tanzkreation, und sie stellt eine gelungene Weiterenwicklung seines seit über zehn Jahren wachsenden choreografischen Oevres dar, das ihn zu einem der aktuell gefragtesten, frei schaffenden Choreografen Europas gemacht haben.

Zu sehen ist „Doll Songs“ im Rahmen des neuen Ballettabends „Made For Us“ am Staatstheater Nürnberg wo Ballettchef Goyo Montero in den vergangenen sechs Jahren ein herausragend psychologisch-narratives Gesamtwerk geschaffen und zudem wichtige zeitgenössische Tanzwerke aus dem europäischen Repertoire erobert hat.  Erstmals hat er nun mit „Doll Songs“ von Lee und „Mirrored“ von Cayetano Soto neue Werke für sein Ensemble kreieren lassen. Tief hängen in Lees Stück die Scheinwerfer. Podeste und leere Glaskästen werden im dunklem Dämmerlicht hin und her geschoben. Die Tänzer hauchen in Mikrofone, bis sich ihr Atem mit den einsetzenden Songs von Joan Jeanrenaud vermischt, die das bezwingende, mal hier, mal dorthin wegglibbernde, dunkeltraumartige Bewegungsgeschehen pointiert tragen. Die Tänzer des Staatstheaters Nürnberg begegnen Lee dabei auf Augenhöhe. Bestens sind sie in der Lage, die ins ich kühl zergliederten, oft rasant auszuführenden Bewegungsfolgen eines fast als Maschine begriffenen Tänzerkörpers hart und präzise durchzuführen. Besonders eindrucksvoll: Natsu Sasaki, die Lees Tanzverständnis mit jener prägnanten Schärfe und Eleganz  umzusetzen vermag, wie man es bislang nur aus Stuttgart oder Zürich kennt. Verwirrt reagierte man nach dieser choreografischen Meisterleistung auf Cayetano Sotos Uraufführung von „Mirrored“ – „Gespiegelt“. Auch er wählte, wie Lee, Minimal Music, unter anderem von Philip Glass, nur in einer wenig diskreteren Ausdrucksform. Zuweilen zu dick übermalt wurden von ihr die komplexen Bewegungsmuster. Manches erinnerte dabei an die unverwechselbare Ästhetik von Marco Goecke; darüber hinaus war jedoch kaum erkennbar ist, was Soto ganz indivuell zum Ausdruck bringen wollte. Sein „Mirrored“ lieferte zwar einen herausragend getanzten State of the Art der zeitgenössischen Neoklassik im Tanz, ergänzt um ein paar Effekte wie das Hochziehen des Tanzbodens oder sehr schöner Oberteile der Tänzerinnen, blieb jedoch hinsichtlich Thema, Inhalt und Tiefe leider an der Oberfläche.

Erschienen u.a. auf www.tanznetz.de und der Mittelbayerischen Zeitung, 7. Juli 2014