Während des zweiten Lockdowns im Frühjahr schuf Sebastian Abarbanell als Gastchoreograf des Ballett Theater Pforzheim das Tanzstück „How it molds into the shape of their skin“. Ballettdirektor Guido Markowitz und Probenleiter und Choreograf Damian Gmür hatten den in Berlin aufgewachsenen, queeren Tänzer und Choreografen beim Internationalen Solo-Tanz-Theater-Festival im Juni 2020 in Stuttgart entdeckt und ihm für sein Solostück „Home (what we lost)“ den Residenzpreis des Theaters Pforzheim verliehen. Abarbanell kreierte „How it molds into the shape of their skin“ für Mei Chen, Fabienne Deesker, Stella Covi, Dario Wilmington, Hyeon-Woo Bae und Yannis Brissot. Wilmington verfasste zudem die sphärisch-hypnotisch wirkende Soundkomposition. Tanzfilm-Regisseur Mirko Ingrao, ebenfalls Tänzer des Ballett Theater Pforzheim, erstellte die Film-Version, die noch bis 15. August 2021 online auf dem Youtube-Kanal des Theater Pforzheim zu sehen ist. Alexandra Karabelas interessierte sich für die Übersetzung des Bühnenwerks in Film und schickte Sebastian Abarbenell hierzu drei Fragen.m

Herr Abarbanell, was erzählt Ihnen der Film über Ihr eigenes Stück?

„How it molds into the shape of their skin” ist für mich eine Reise, die aus vielen Reisen gleichzeitig besteht. Deswegen animiere ich zu Beginn des Films auch, sich das gesamte Stück ohne Unterbrechung anzusehen. Denn ich betrachte in ihm sechs vollkommen unterschiedliche Erlebnisse, Menschen, Körper, Leben und Geschichten, die sich durch ein einheitliches System bewegen und unter annähernd gleichen Bedingungen existieren. Ich finde es faszinierend, wie unterschiedlich jeder Mensch und jeder Körper mit den gleichen oder ähnlichen Bewegungen und Bedingungen umgeht und wie sich diese auf jeden Körper individuell und einzigartig auswirken. Diese Dualität und Koexistenz von Einheitlichkeit und Einzigartigkeit sollte in dem Film deutlich werden. Das war mir wichtig.

Was war Ihnen bei der filmischen Umsetzung noch wichtig?

Die Magie einer Live-Performance beinhaltet, das jede*r Zuschauer*in ein individuelles Aufführungserlebnis hat. Jedes Auge erfasst verschiedene Aspekte, Elemente und Momente eines Stückes. Damit diese Magie und dieser Prozess nicht vollkommen verloren geht, ist es mir bei der filmischen Aufnahme dieses Stückes wichtig gewesen, die Augen der Zuschauer sanft durch unterschiedliche Perspektiven zu leiten. Dabei möchte ich jedoch dem Publikum nicht Möglichkeiten nehmen, beim Zuschauen eigene bewusste oder unbewusste Entscheidungen zu treffen. Im Gegenteil: Die aktive Autonimität jeden und jeder Zuschauer*in ist wesentlich für meine Arbeit, eigenständig und aktiv das Stück wahrzunehmen.

Wie empfinden Sie die Welt und welche Rolle spielt Ihr Stück in ihr?

Wir leben in einer Gesellschaft, in der jeder Mensch täglich kategorisiert, beurteilt und bewertet wird, und das von Geburt an. Dabei spielt der Körper eine zentrale Rolle. Für „How it molds into the shape of their skin” habe ich mich damit beschäftigt, was es für den Einzelnen bedeutet, ein Verständnis von sich selbst zu entwickeln, welches stark genug ist, sich von konventionellen Einordnungen zu lösen und sich stattdessen gegebenenfalls neu zu definieren. Diese Frage visualisiere ich. Denn als queerer Künstler möchte ich mit meiner Arbeit zum Nachdenken über tief in unserer Gesellschaft verwurzelte Vorstellungen und Menschenbilder anregen, in denen queere Identitäten oft noch kaum Akzeptanz erfahren. Ziel meiner künstlerischen Arbeit ist es, das Publikum zu inspirieren und zu einem kollektiven Heilungsprozess beizutragen.

Fotos von Thomas Meyer, Pforzheimer Zeitung. Abgebildet: Fabienne Deesker, Sebastian Abarbanell