Wer das barac im Benjamin Franklin Village kennt, weiß: Noch ist es der multifunktionale Ort für künstlerische Forschung, Produktion, Begegnung und Gemeinschaft vor allem im Außenbereich eine Baustelle. Und so wie dort Haufen an Steinen, Staub und Sand herumliegen, über die man am Wochenende gemeinsam mit mehr als dreissig anderen Besuchern zum Eingang des Gebäudes stolperte, wurde man im Innenbereich Zeuge einer sogenannten performativen Materialsammlung: einer knapp neunzig minütigen Aneinanderreihung von Körperaktionen, Videofilmen, Sprechsequenzen sowie wenig Gesang und Tanz zum Thema Frauenbilder in Geschichte und Gegenwart. Die vielseitige und im Detail stimmige Präsentation bildete den Schlusspunkt einer künstlerischen Langzeitforschung, die das Künstlerkollektiv RAMPIG unter der künstlerischen Leitung von Beata Anna Schmutz seit mehr als einem Jahr unternommen hatte. Dass die Abfolge aus poetischen Kunstkurzfilmen, gesprochenen Monologen oder stummen Mini-Performances zum einen als hybrides Theaterstück, zum anderen als politisches Theater in der besten Tradition des Dokumentartheaters unter dem Titel „Drei Schwestern: Frauenherberge. Geisterbilder“ durchging, verdankte man der Entscheidung von RAMPIG, Anton Tschechovs Drama „Die drei Schwestern“ dramaturgisch als Ausgangs- und Bezugspunkt zu wählen. Im über hundert Jahre alten Drama sitzen Irina, Mascha und Olga weit weg vom Sehnsuchtsort Moskau verwaist auf dem Land, melancholisch gefangen in nicht realisierte Lebensträume und hoffen auf bessere Zeiten, auch wenn alles nur schlimmer wird. Und so wie die drei Schwestern passiv in ihrem „Gefängnis“, wie sie es nennen, verharrten, saß man, von Theaternebel umwölkt und getragen vom Livesound der Band Titsharks, an einer reich gedeckten Kaffeetafel mit Blümchen-Service, Sahnetorte, Kerzen und Feldblumen wie eingesperrt in eine zunehmend lähmende Feier in einem Raum mit geschlossenen Fenstern.
Blumenkohlsuppe und Kaffee
Wie fein dieses Bühnenbild entwickelt worden war, zeigten die überall herumliegenden, ihren Geruch verströmenden Blumenkohlköpfe nebst roten Rüben. Tim Fischer in schwarzer Latexhose, blondierter Vokuhila-Frisur und Plastikhandschuhen mimte den queeren schweigenden Dienstboten, der wahlweise Kaffee oder Blumenkohlsuppe anbot. Auf dem Tisch in der Mitte schließlich stehend: die drei Performerinnen Christina Bauernfeind, Tabea Panizzi und Ricarda Walter, im weißen oder schwarzen Pulli oder blauer Glitzerweste, dazu verschleiert mit einer gehäkelten Tischdecke auf dem Kopf und in Unterhose mit nackten Beinen. Abseits, ebenfalls verschleiert: Liz Langenfelder. Die so geschaffene, surreale und verstörende Spannung verpuffte allerdings ziemlich schnell und wich einer immer größer werdenden Ermüdung. Denn die vier Darstellerinnen entzogen sich jeder Möglichkeit einer Identifikation. Stattdessen monologisierten ausschließlich mit lauter Stimme, ausdrucksloser Miene und anklagendem oder spöttischem Ton über Themen und Umgänge, die mit Frauen und Frauenbildern wie beispielsweise der Meerjungfrau, der Medusa oder der heiligen Maria, aber auch mit Gretchens Faust oder realen Prinzessinnen verbunden sind oder die von Frauen negativ oder schmerzhaft erfahren werden. Ihre Sprechakte verwoben sich sodann mit großformatig projizierten Filmen wie etwa einer fast im schlammigen Wasser ertrinkenden Frau oder einer Frau auf dem Hochsitz beim Jagen, das Gewehr in der Hand, während Tim Fischer mit Kopftuch einen Blumenkohl im Arm wiegte, den er dann aber doch fallen ließ. Ein Tintenfisch diente schließlich als Fötus, der von Bauernfeind im Aquarium ertränkt wurde, nachdem sie sich die später angezogene Nylonstrumpfhose mit Kohlköpfen vollgestopft und auf diese eingeschlagen hatte, während man davon hörte, wie Männer beim Kaiserschnitt zum Skalpell greifen. Mit gehäkelten Tintenfisch-Masken auf dem Kopf kreierten sie einzig zum Schluss einen leisen sehnsuchtsvollen Moment.
Tolles Kunstbuch für das Smartphone
Zum Schluss erhielt man ein aufwändig gestaltetes und über die App „artivie“ interaktiv erlebbares Kunstbuch mit Texten, Fotos und abscannbaren Videos, die man während der von Fakten und Bildern überfrachteten, aber utopielosen, rein aufklärerisch gemeinten Aufführung gehört oder vielmehr ertragen hatte. Der Effekt, dass der Zuschauer umso mehr fühlt, versteht und verändert, je weniger die Darsteller interagieren oder von sich preisgeben, hatte sich nicht eingestellt. Theater, das etwas verändern soll, geht auch anders, auch wenn das Kunstbuch tatsächlich als gelingendes performatives Ereignis für zuhause gelungen ist.
Autorin: Alexandra Karabelas; erschienen am 27. Juli 2021 in der Rheinpfalz
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