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Viele zeitgenössische Choreographen unterscheiden zwischen Tanz, Bewegung und Choreographie. Erweist sich Tanz aus Zuschauerperspektive als sich erst einstellende, sinnlich-energetische Erfahrung, die sich aus dem Sehen, Hören und Spüren der körperlichen Umsetzug mehrerer, komponierter Bewegungsfolgen in einer bestimmten, oft musikalisch inspirierten und determinierten Zeit ereignet, markiert die Choreograpie das dynamische Ordnungsprinzip, in dem jene Bewegungen abstrakt oder als Bilder organisiert werden.  Sinn und Bedeutung jeden, den Tanz als Flow quasi aus sich herausspringen lassenden Bewegungskonglomerats ergeben sich aus dem Einsatz der Geste, dem Rhythmus der Bewegungsfolge, der Verdichtung zum Bild und, noch vorgängiger, jenen den Zuschauern oft nur teilweise mitgeteilten Inhalten, die den Kreations- und Produktionsprozess seitens der Choreographen steuern und voranbringen.  Die Größe der Kluft zwischen den verbal ausgesprochenen oder nonverbal, aber gedachten, klar benennbaren Inhalten während der Proben und der an sich bedeutungslosen Bewegung auf der Bühne, der abstrakten Bewegung ist etwas, über die sich die gesamte Geschichte des Bühnentanzes interpertieren lässt – angefangen beim Konstrukt des Handlungsballetts mit seiner klaren Verteilung auf Rollen bis zur (scheinbar) vollständigen Auflösung des Bedeutunsggeschehen im Tanz seit der Postmoderne. Der aktuelle Trenz zurück zum Erzählen markiert dabei auch – und sei es in der größten Zurüchkhaltung im sichtbaren Bewegungsfluss – mehr denn je den Bühnentanz der Gegenwart.

Sonia Rodriguez

Die spanische Tänzerin und Choreographin Sonia Rodriguez ermöglicht in diesem Zusammenhang als derzeitige Residenzkünstlerin des Choreographischen Centrums Heidelberg wertvolle Einblicke in zeitgenössische choreographische Arbeit. Während ihrer dreiwöchigen Arbeitszeit  in Heidelberg erweiterte sie ihr im Herbst 2015 in Berlin von drei Tänzern uraufggeführtes Stück „Mabel“ – eine spannende Darstellung einer fiktiven weiblichen Frauenfigur deren Persönlichkeitsanteile auf die Tänzerinnen verteilt wird.  Hierbei interessierte Mabel weniger als in sich geschlossene, psychologische Figur, sondern als movens ludens, als die Choreographie motivierender Faktor die die Grenze zwischen Publikum und Performerinnen überschreiten soll. Wie erzähle ich ohne dem Publikum einen echten Kontakt mit den Tänzerinnen vorzuenthalten?  Und wen spielen wir in unserem Leben wann? Kurz vor dem öffentlichen Showing antwortete Sonia Rodriguez auf Fragen.

Sonia, drei Wochen künstlerischer Arbeit in Heidelberg liegen hinter Dir. Wer ist für dich Mabel heute?

Mabel ist immer noch ein Charakter den ich erfunden habe. Eine Frau die versucht ihre Reaktionen in verschiedenen Situationen die in ihrer bewussten und unbewussten Welt stattfinden zu verstehen. Ihr Bewusstsein reproduziert viele surreale Bilder die sie in die Tiefe führen. Manchmal befindet sie sich in einem Zustand der totalen Kontrolle ihrer Handlungen.

Dann geht ihr die Kontrolle wieder verloren. Manchmal denke ich über sie nach. Ich schließe die Augen und ich sehe ihr Gesicht. Es funkelt wie ein Diamant und wie ein Diamant verschiedene Seiten hat zeigt ihr Gesicht unterschiedliche Persönlichkeiten.

Wie hat sich für Dich der Arbeitsprozess gestaltet?

Für den Arbeitsprozess an der Choreographie wählte ich fünf Tänzerinnen, die sich sehr voneinander unterscheiden um die Vielseitigkeit und Wandelbarkeit von Mabel zum Ausdruck zu bringen. Während des Arbeitsprozesses habe ich darauf bestanden, diese Fantasiefigur Mabel in allen von uns zu finden ohne unsere eigene Identität zu verlieren.

Worin besteht für Dich der Unterschied zwischen einem Charakter und einer abstrakten Bewegung wenn Du choreographierst?

Wenn ich choreographiere verwende ich abstrakte Bewegungen die bereits existieren weil sie ihre eigene Dynamik, Musikalität und Ruhe mitbringen.  Sie sind deshalb da weil der Charakter, die Figur Mabel diese Bewegungen in sich trägt und ausführt. Das ist für mich der Grund warum sich für mich die Arbeit an einem Charakter und die abstrakte Bewegung nicht ausschließen. Davon abhängig, hat das was wir nun kreiert haben, eine andere Bedeutung und vermittelt verschiedene Emotionen. Ich habe in diesem Zusammenhang verstanden dass es für mich sehr wichtig ist dass wir mit dem was wir haben und wer wir sind, bei uns bleiben: bei unserer ureigenen Präsenz und unseren ureigenen Gefühlen als Tänzerinnen und Interpretinnen. Wenn wir diesen Aspekt in unsere Körper und in die Choreographie hineinholen entsteht ein Gleichgewicht zwischen dem, etwas auszudrücken und mit dem Publikum in Kontakt zu treten.

Mit Sonia Rodriguez in Heidelberg arbeiten derzeit die Tänzerinnen Marion Sparber, Maria Novella, Yudith Nagel und Eva Georgitsopoulou.                     

Uraufführung von „Mabel“: 6.07.2016,  Acker Stadt Palast Berlin. Weitere Aufführungen: 7. und 8. Juli 2016